Als ich mit meiner Frau eines morgens beim Frühstück saß und wir uns über eine Tempelarbeit, welche am Abend vorher stattfand, austauschten, redeten wir über die Zeichnung des Bruder Redners. Ich erwähnte dabei, dass es oftmals die gleichen freimaurerischen Themen sind und es doch neue, anregende Gedanken geben müsste. Meine Frau meinte daraufhin, warum ich nicht über Feminismus und Freimaurerei schreiben würde.
Im ersten Moment kam mir dieses Thema eher fehl am Platz vor. Was sollte ich, als Mann und Freimaurer, zu Feminismus sagen? Dazu kenne ich mich zu wenig aus. Aber der weitere Gesprächsverlauf während des Frühstücks entfachte meine Neugierde. Zum einen wäre es ein Thema, welches man(n) sicherlich kontrovers diskutieren kann, zum anderen schien es mir nötig, einen völlig neuen Blick auf Feminismus zu werfen und somit die Ideen mit den Grundsätzen der Freimaurerei wie Gleichheit, Toleranz, aber auch Freiheit zu vereinen.
Die meisten Brüder, mit denen ich mich über dieses Thema austauschen wollte, meinten, dass sie nichts mit den Ideen einer Alice Schwarzer zu tun haben wollen. Gut, ich auch nicht, da ich keine Steuerbetrüger schätze, aber das ist eine andere Sache. Aber schauen wir erst einmal, was Feminismus tatsächlich ist, damit wir eine Grundlage für einen Gedankenaustausch haben.
Was ist Feminismus?
Wenn wir Wikipedia befragen, so finden wir eine erste Definition:
„Feminismus (über französisch féminisme abgeleitet von lateinisch femina ‚Frau‘ und -ismus) ist ein Oberbegriff für gesellschaftliche, politische und akademische Strömungen und soziale Bewegungen, die, basierend auf kritischen Analysen von Geschlechterordnungen, für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts sowie gegen Sexismus eintreten und diese Ziele durch entsprechende Maßnahmen umzusetzen versuchen. Daneben verweist Feminismus auf politische Philosophien, die – über einzelne Anliegen hinaus – die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse, einen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischen Ordnung und der Geschlechterverhältnisse im Blick haben.“
aus wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Feminismus
Natürlich werden die älteren Brüder unter uns noch die Bilder aus den 70er Jahren vor Augen haben, als Frauen für ihre Rechte aufgestanden sind, auf den Straßen demonstriert und ihre BHs verbrannten und die Pille gefeiert wurde. Auch die Kämpfe gegen das Patriarchat darf man dabei nicht vergessen. Doch ist dies die einzige Form von Feminismus, an die wir uns heutzutage erinnern?
Wenn wir weiter zurückdenken, entdecken wir bereits weitaus frühere Phasen, die sogenannten Wellen des Feminismus. Dabei geht die erste Welle auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, in der es in Europa und Nordamerika die ersten Frauenbewegungen gab. Die aus England stammende Frauenrechtlerin Josephine Butler engagierte sich ab 1869 gegen die Gesetze zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten, bei denen Prostituierte vom Staat überwacht, die Freier jedoch nicht kontrolliert wurden. Allein die anschaffenden Frauen (nicht aber ihre männlichen Kunden) waren folglich für die Verbreitung der damaligen Geschlechtskrankheiten verantwortlich.
Die zweite Welle wird einigen sehr viel präsenter sein. 1949 erschien eines der wichtigsten Bücher zu diesem Thema, „das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir, das 1949 in Frankreich unter dem Titel Le Deuxième Sexe („Das zweite Geschlecht“) in zwei Bänden, Les faits et les mythes („Die Tatsachen und die Mythen“) und L’expérience vécue („Die gelebte Erfahrung“), erschien. Die Pionierleistung des Werks liegt vor allem darin, dass erstmals die Kategorie „Geschlecht“ ins Zentrum einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung gestellt und dabei konsequent zwischen biologischem Geschlecht und kultureller bzw. sozialer Prägung von Geschlechtern unterschieden wurde. Sicherlich kennt man Simone de Beauvoir ebenso als Partnerin an der Seite von Jean-Paul Sartre, und somit auch als wichtige Philosophin der Strömung des Existenzialismus.
Die Auswirkungen dieses Werkes stellen immer noch die Grundlagen des modernen Feminismus dar. Ich darf dabei erwähnen, dass das gemeinsame Grab von de Beauvoir und Sartre in Paris nach wie vor von vielen Frauen und Feministinnen besucht und mit vielen Danksagungen überhäuft wird. Sie hinterlassen Blumen, U-Bahn Karten und Kussmündern dafür, dass ihnen ein Stück Weg geebnet wurde. Somit ist Feminismus immer ein Spiegel der Zeitgeschichte und muss folglich auch im zeitlichen Kontext betrachtet und bewertet werden.
Feminismus heute
Feminismus ist aber kein Geist der Vergangenheit. Es ist ein Thema was Staaten, Regierungen und die Gesellschaft noch immer beschäftigt, sie beeinflusst und nachhaltig prägen sollte. Dabei muss man allerdings anmerken, dass es einige Länder gibt, in denen man bereits sehr viel weiter ist als in Deutschland. Betrachten wir die skandinavischen Länder, speziell Finnland und Island, so muss man anmerken, dass Finnland weltweit das Land mit der höchsten Rate an Chancengleichheit ist. Die Gleichstellung von Mann und Frau wurde 2018 gesetzlich verankert und dort auch gelebt. Im selben Jahr hat Island ein Gesetz erlassen, welches gleiche Löhne für Männer und Frauen bei gleicher Tätigkeit vorschreibt.
In Deutschland urteilte das BAG (Bundesarbeitsgericht) über die Entgeltgleichheit von Männern und Frauen erst vor rund einem Monat, am 16.02.2023. Der 8. Senat entschied, dass Männer und Frauen einen Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation haben. Dieser Schritt war schon lange überfällig.
Aber denken wir doch einmal weiter und lösen wir uns von der Arbeitswelt. Frauen müssen in unserer Gesellschaft jeden Tag sexistische Bemerkungen, Werbungen oder Übergriffe ertragen. Wenn wir uns als Väter von Töchtern sehen: wie wollen wir dieses Verhalten rechtfertigen oder überhaupt zulassen? Gerade wir als Brüder und Schwestern Freimaurer müssen doch unsere Werte vermitteln und an unsere Kinder weitergeben. Wir sollten ihnen Selbstwertschätzung, und Toleranz als Grundwerte in den Kindergärten und Schulen, also durch die frühestmögliche Erziehung vermitteln. Und dabei ist der wichtigste Aspekt, dass dies geschlechtsneutral sein sollte. Natürlich kann ein Mädchen Fußball und ein Junge mit einer Puppe spielen, wenn sie/er das möchte. Wir schränken bewusst die Entwicklung unserer Kinder ein, in dem wir sie in die Geschlechterrolle pressen, welche wir vorgeben, vorleben, und somit auch mitgeben. Wenn wir unsere Kinder jedoch offen erziehen und sie fördern, werden sie zu einem toleranteren Menschen, der die Gleichheit nicht nur kennt, sondern sie auch lebt und umsetzt. Dieser Mensch muss nicht davon überzeugt werden, dass alle Menschen gleich sind, er/sie/es kennt es nicht anders.
In vielen nord-europäischen Ländern ist dies bereits der Alltag und wir hängen hinterher. Aber dies erfordert auch uns, die Generation der Eltern und Großeltern, und damit auch der reifen Männer! Nämlich indem wir die Vorbilder sind, welche unsere Töchter verdient haben! Einfach mal nicht die Augen rollen und schmunzeln, wenn man einen sexistischen Witz hört, sondern dies auch ansprechen und darauf aufmerksam machen.
„Feminismus hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren enorm entwickelt und hört auch heute nicht damit auf. Den Feminismus gibt es deshalb nicht. Es ist kein geschützter Begriff mit einer für immer gültigen, eindeutigen Definition. Sondern eine vielfältige politische Bewegung, in der es verschiedene Strömungen, Diskussionen und Meinungen gibt. Und in der auch heftig gestritten wird. Im Kern der Idee steckt aber die Gleichberechtigung – niemand soll aufgrund des Geschlechts diskriminiert und benachteiligt werden.“ https://pinkstinks.de/konnen-manner-feministen-sein/
Abgrenzung zum Humanismus
Das Ziel von Feminismus ist die Gleichberechtigung. Warum nennt man es dann nicht Humanismus? Viele von euch würden nun behaupten, dass wir hier doch schon seit mehreren Minuten über Gleichheit, Brüderlichkeit und Humanismus reden. Wenn wir statt vom „Feminin“ vom „Menschlichen“ reden, da es ja alle Geschlechter angeht. Stimmt, es geht auch alle an. Aber die Frauen sind die, die hierbei am schlechtesten wegkommen. Feminismus ist eine Teilmenge des Humanismus. Es hilft also nicht, den Begriff zu ändern, es muss sich die Einstellung ändern.
Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass der Begriff des Humanismus eine Geschichte hat. In der Renaissance stand dieser für die sehr bürgerliche Vorstellung, bei der es darum ging, durch die richtige Bildung menschliche Perfektion zu erreichen. Dies ging mit der Abwertung „ungebildeter“ Menschen einher, auch wenn diese schlicht keinen Zugang zur Bildung hatten. Wir sollten den Begriff des Feminismus somit nicht durch Humanismus ersetzten, sondern ihn eher immer wieder mit einer zeitgemäßen Bedeutung füllen und ihn somit weiterentwickeln.
Wenn wir den Humanismus, mitsamt dem Feminismus, also der Gleichheit aller Menschen (egal welches Geschlechtes) auch leben wollen, so sollten wir direkt vor unserer eigenen Haustüre anfangen und mit den Grenzen aufräumen. Grenzen in der Gesellschaft, aber auch in unseren Köpfen. Wie sagen wir Freimaurer immer: Sapere Aude, öffne deinen Geist.
Und so schauen wir diesen Begriff mit dem Auge des Meisters an.
Freimaurer und Feminismus?
Beschäftigen wir uns noch einmal mit der Frage, ob Freimaurer Feministen sein können oder es sogar sein sollten.
Wenn wir uns an die kurze Definition vom Anfang meines Vortrages zurückerinnern, so möchte ich euer Augenmerk erneut auf die Worte „Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts“ lenken. Ich denke, wir als Freimaurer sollten mit diesen Worten mehr anfangen können, sehr viel mehr. Wir sollten ihnen auch die Taten folgen lassen, zu denen wir in unseren Ritualen immer wieder aufgefordert werden. Denn es sind keine sinnlosen Worthülsen, sondern eine Aufforderung zum Handeln in der Gemeinschaft des Menschen.
Gleichberechtigung oder Gleichheit ist nun mal eine der fünf Grundideale der Freimaurerei, neben Freiheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Sie sollen immer durch die praktische Einübung im Alltag gelebt werden und nicht nur ein theoretisches Konstrukt darstellen.
Was bedeutet das für Freimaurer
Feminist zu sein bedeutet grundsätzlich erst einmal nur, sich dafür einzusetzen, dass alle Menschen – ungeachtet des Geschlechts – gleich viel wert sind. Dass sie die gleichen Chancen verdienen, die gleichen Rechte und Pflichten haben. Geschlecht-basierte Diskriminierung und Unterdrückung muss unbedingt überwunden werden. Dies verbindet die Menschen nicht, es teilt sie nur in zwei Gruppen, um nicht zu sagen in zwei Klassen.
Indem wir uns für die Gleichheit beider (ich möchte gern sagen „aller“) Geschlechter einsetzen, werden wir auch zu Feministen, denn Humanisten sollten wir ohnehin schon sein. Auf diesem Weg werden wir unserem Anspruch an uns selbst, als Bruder oder Schwester Freimaurer, gerecht. Wir begegnen einander auf der Winkelwaage und arbeiten an der oft zitierten Brüderlichkeit/Schwesterlichkeit. Bringen wir zudem die nötige Toleranz gegenüber dem „anderen Geschlecht“ auf, sind wir den Grundpfeilern der Maurerei schon nähergekommen. Wir haben uns bemüht!
Fazit
Wenn ich dies alles überdenke, so muss ich sagen: Freimaurer müssen sogar Feministen sein, wenn sie sich wirklich und von ganzem Herzen für ihre Ideale einsetzen. Die maurerische Tugend, die Gleichheit, kommt in keinem Beispiel besser vor als in der Gleichberechtigung und Menschenwürde. Trennendes muss überwunden werden und der Bau des Tempels der Humanität auf einen soliden Grund gebracht werden. Auf einen Sockel aus gleichberechtigten Menschen aller Geschlechter.
Also los, bemühen wir uns!
