Einleitung
Angeregt durch die vielen Gespräche und den Austausch nach dem Erscheinen der beiden Artikel über Toleranz von Br. Hagen und mir, habe ich weiter philosophiert über die Grenzen der Toleranz und wodurch sie entstehen, oder sich verändern. Natürlich möchte ich gerne auch den Personen danken, die den Artikel gelesen haben und über die vielen positiven Zuschriften, welche mich dazu erreichten.
Ein spannendes Zitat, welches mich erreicht hat, möchte ich gerne mit euch teilen: „Warum dann FM und nicht das Original, z. Bsp. Humanistische Weltbund: Rituale ohne Gottesbezug. Warum in einen Fußballverein eintreten und dann versuchen Handball zu spielen? „Ich halte den Glauben an ein göttliches Wesen für Blödsinn… Ich bin ein Feind jeder Religion…“ Toleranz? Fehlanzeige…“
Ich möchte hier eines klarstellen. Der mir hier falsch zugewiesene Satz „Ich halte den Glauben…“ ist nicht von mir, wie es gern ein Bruder darstellen wollte. Das Zitat ist nach wie vor von Richard Dawkins und der ist kein Bruder Freimaurer, sondern immer noch Evolutionswissenschaftler und Antitheist. Wie es um seine Toleranz bestellt ist, ist sicherlich seine persönliche Sache. Der Vergleich mit dem Fußball/Handball Verein gefällt mir gut. Aber dann sage ich offen: Warum Freimaurer werden und dann Religion sein wollen? Dann doch bitte in die Kirche oder freie Gemeinden gehen.
Humanismus ist ein freimaurerischer Grundpfeiler und war die Ausgangslage vieler humanistischer Bunde und Gruppen, die oft sogar von Brüdern Freimaurer gegründet wurden. Daher wäre auch hier ein Eintritt durchaus nicht abwegig.
Doch gerade in dieser Diskussion kam die Frage auf, wie sich die Grenzen der Toleranz zusammensetzen. „Die Wurzel liegt im Lateinischen und meint beides, Tragen und Ertragen, Dulden und Erdulden.“ Aber was sind denn Grenzen, persönliche oder gesellschaftliche und wie entstehen sie. Sind diese fest oder verschieben sie sich und was lassen wir zu und was ertragen wir?
Entstehung der Grenzen
Grenzen der Toleranz sind sicherlich nicht angeboren, sie werden im Laufe der Jahre durch Erziehung geprägt. Anerzogen und vorgelebt von den Eltern, Kindergarten und später Schule, aber auch dem sozialen Umfeld, in dem wir aufwachsen. Hierbei kommt zudem oft die Frage auf, ob es eine Religion braucht, um ethische und moralische Werte zu vermitteln. Um die Antwort gleich wegzunehmen, nein, es braucht keine. Natürlich sind unsere Wertvorstellungen in Deutschland christlich geprägt, aber aus historischen Gründen. Grundsätze, beispielsweise dass man niemanden umbringt, dass man nichts stiehlt usw. sind aber keine religiösen Dogmen, sondern einfach Umgangsformen der Menschen untereinander. Wenn wir unsere eigenen Werte an unsere Kinder weitergeben, dann prägen und formen wir hierbei auch einen Menschen in seinen ethischen und moralischen Vorstellungen.
Vorurteile
Und hier kommt schon direkt das nächste Problem. Das Vorleben der Werte und die Weitergabe an jüngere Generationen. Was aber, wenn unsere persönlichen Grenzen im Bezug auf Toleranz geprägt sind durch Vorurteile? Wie schwer sind diese oft zu erkennen? „Vorurteil heißt ein Urteil, wenn eine Person, eine Gruppe, ein Sachverhalt oder eine Situation vor einer gründlichen und umfassenden Untersuchung, Abklärung und Abwägung beurteilt wird, ohne dass die zum Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Fakten verwendet werden“, so steht es bei Wikipedia. Wir alle fällen sie, ob wir dies nun möchten oder auch nicht. Ich selbst nehme mich hier nicht aus. Doch auch gerade hierdurch wird uns oft unbewusst eine Grenze der Toleranz gesetzt. Wir haben Schubladen, in denen wir Menschen und Gruppierungen stecken und einsortieren. Damit verbunden aber auch direkte Grenzen und Abgrenzungen. Doch die Aufklärung sollte uns eines gelehrt haben, nämlich das „Sapere Aude“, also „Wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“! Die Grenzen der Toleranz bedingt durch Vorurteile sind oft nur im Kopf und können mit dem Verstand überwunden werden.
Haben wir erkannt, dass wir alle dazu neigen, in Schubladen zu denken und Vorurteile zu haben und haben wir uns dann die Mühe gemacht, diese Vorurteile zu prüfen und zu „verbindlichen Urteilen“ zu machen, dann können wir uns in der Toleranz üben und diese Schranken überwinden.
Gesellschaftliche Grenzen
Natürlich gibt es nicht nur die anerzogenen, sowie die Grenzen im Kopf, es gibt auch die gesellschaftlichen Grenzen der Toleranz. Oft höre ich auf die Nachfrage von Kindern und Jugendlichen, wenn die Eltern ihnen etwas für sie unverständlicher Weise verbieten, als Begründung ein „das gehört sich nicht“. Hier gibt es also Grenzen, die dem Allgemeinwohl diesen und die der Menschlichkeit gebühren. Nicht stehlen, nicht töten sind Grundsätze, über die man wohl nicht diskutieren darf. Sexuelle Übergriffe und Missbrauch sind ebenso gesellschaftliche Grenzen und werden nicht toleriert. Zumindest auf den ersten Blick. Schauen wir einmal weiter und hinterfragen wir:
Wie steht es hierbei um einen Tyrannenmord? Hätten die Verschwörer um Graf von Staufenberg ihr Vorhaben umsetzen können und 1944 Adolf Hitler durch ein Attentat ermordet, würde man sie dann nicht heute feiern für einen Mord? Oder müssen wir hier gar abwägen, auf wessen Kosten mehr Morde gingen? Wäre der militärische Abschuss eines entführten Passagierflugzeuges tragbar, wenn man dadurch verhindern könnte, dass noch mehr Menschen getötet werden? Wie gehen wir mit einem Scharfschützen um, der den Geiselnehmer tötet um die Geisel zu befreien? Gerade in diesen Fällen muss man die offensichtliche Übertretung von Grenzen, und somit seine eigenen Toleranz zulassen und hier wird sie auch befürwortet.
Wäre das stehlen von Geldern nicht gut, wenn man es verwenden würde um Arme und Hilfsbedürftige zu unterstützen? Eine Umverteilung von Geldern und Ressourcen käme vielen zu Gute. Viele der Industrienationen haben jahrelang nur genommen und Entwicklungsländer bzw. Schwellenländer gezielt ausgebeutet, um sich ihren eigenen Wohlstand zu sichern.
Hier kommen Kinderschänder mit geringen Strafen davon, ohne sich ein Bild davon zu machen, welchen Schaden sie auf den Seelen der Betroffenen hinterlassen. Hier kommen Steuersünder mit minimalen Strafen davon, wenn sie sich selbst zur Anzeige bringen? Wo ist hier das Maß der Toleranz und damit auch das Maß an Gerechtigkeit? Sexuelle Übergriffe auf Frauen werden erst seit einigen Monaten verstärkt zur Anzeige gebracht. Diese Liste kann man beliebig lange fortsetzen…
Grenzen im Wandel – neue Toleranz
Allerdings zeigt gerade das letzte Beispiel auf, wie sich diese gesellschaftlichen Grenzen der Toleranz auch verschieben können. Eine flapsig angebrachte, sexuell anzügliche Bemerkung über die neue Kollegin war vor ein paar Monaten noch „toleriert“, nun aber kann dagegen angegangen werden.
Man stellt also fest, dass sich die Grenzen der Toleranz im gesellschaftlichen Wandel befinden können. Norme und Werte werden (und müssen auch weiterhin) überdacht und dem Wandel der Zeit angepasst werden. Strafen und deren Maß entstehen oftmals aus der Notwendigkeit heraus. War es vor knapp 15 Jahren noch erlaubt, während des Autofahrens sein Handy zu verwenden, so sind die Strafen diesbezüglich angepasst und vor allem erhöht worden. Die Toleranz hat sich hier verschoben zu Gunsten der Sicherheit im Verkehr.
Im Falle von Kindesmissbrauch, aber auch bei Übergriffen im öffentlichen Raum setzt die Polizei vermehrt auf die Mithilfe der Bürger zur Identifizierung von Verdächtigen und schränkt dabei bewusst die Persönlichkeitsrechte des Täters ein, was von sozialen Netzwerken und der Gesellschaft gern toleriert wird, da es ein gutes „Mittel zum Zweck“ ist.
Grenzen werden gerne verschoben, wo sie einem „guten oder höheren Zweck“ dienen. Wenn sie der Allgemeinheit dienen, dann sind wir gerne tolerant und lassen die Verschiebung zu.
Freimaurerische Grenzen der Toleranz
Wie schon in der Einleitung erwähnt gibt es sie immer noch, die fundamentalistischen Freimaurer, welche behaupten: „wenn es die Großloge von England so sagt, dann ist es so!“ oder auch gerne „das war schon seit 300 Jahren so“. Aber ist es nicht auch an uns, hier die Frage nach dem Zeitgeist zu stellen und die Toleranz und ihre Grenzen zu überdenken? Warum sollten wir an einem Tempel der Humanität arbeiten, der alle Menschen vereint, aber zeitgleich keine Frauen als Freimaurerinnen zulassen? Warum sollten unsere Brüder und Schwestern aus „irregulären“ Großlogen, wie dem Grand Orient d´France, keine genauso guten Brüder und Schwestern sein, wie auch wir selbst? Warum sollten nur Brüder Freimaurer werden können, die an die Lehren Jesu Christi glauben, aber der Atheist, der sich diesem ethischen Bund anschließen will, verweigert man den Zutritt? Es gilt hier Toleranz walten zu lassen und sich klar zu werden, wie der moderne Zeitgeist und die 300 Jahre alten Traditionen miteinander vereinbar sind. Der so oft erwähnte Spagat zwischen der Tradition und der Moderne muss unser Ziel sein und das ist ohne dem nötigen Maß an Toleranz und Augenmerk fast nicht zu schaffen.
Tolerant muss die Schwester oder der Bruder oftmals in der Loge beim Umgang untereinander sein. Der menschliche Faktor ist immer schwer zu kalkulieren und auch abhängig von der Tagesform und den Laune(n). So kann es durchaus vorkommen, dass man sich plötzlich „auf den Schlips getreten fühlt“, wenn ein Bruder an einen herantritt. An einem anderen Tag, in einer anderen Verfassung, würde man dann beispielsweise darüberstehen. Es ist also immer auch das Arbeiten an einem Selbst und an der inneren Einstellung, die zu einem neuen Blickwinkel auf die eigene Toleranz führt.
Religiöse Grenzen
Toleranz gegenüber den Ungläubigen ist in den meisten Religionen nicht gegeben. Es wird immer versucht den eigenen Standpunkt zu verteidigen, sogar bis hin zum Aufruf zum Mord. Dabei muss es sich nicht um den schon erwähnten Dschihad handeln, nein, das fängt auch im Kleinen an, wenn die katholische Kirche einen jahrhundertealten Bann über die Freimaurer ausspricht. Aber zeugt es nicht schon von innerer Stärke, wenn man hier Toleranz walten lassen kann und eine Vielfalt an Religionen zulässt? Gerade einen offenen Geist gilt es doch zu fördern und hier geht dies nicht ohne die nötige Toleranz. Oft wird mir unterstellt, dass ich gegenüber Gläubigen (oder, um es auf die Freimaurerei zu beziehen, gläubigen Brüdern) intolerant wäre. Nur weil ich meine Meinung als Atheist vertrete? Mit der gleichen Weise, wie es die erwähnten Brüder ebenso mit der ihrigen Position tun? Nein, es ist nicht tolerant, wenn ich diese Brüder oder Menschen mit allen Mitteln von meinem Standpunkt überzeugen will. Aber genau das möchte ich nicht! Ich möchte aufzeigen, dass es mehrere Wege und Möglichkeiten in einer modernen Freimaurerei gibt, sich hier zu finden, seinen Weg zu gehen und an seinem Stein zu arbeiten. Ich würde gerne die Schwestern und Brüder zum Sapere Aude, zum Denken mit einem freien Geist anregen. Daher schätze ich die Toleranz innerhalb der Freimaurerei hoch ein, appelliere aber auch an jede religiöse Strömung, egal welcher Art.
Persönliche Grenzen
Persönliche Grenzen der Toleranz kommen und gehen, sie verschieben sich, bauen sich ab und strukturieren sich um im Laufe eines Menschenlebens. Sie werden wie eingangs erwähnt geprägt durch Erziehung und dem Einfluss unseres Umfeldes. Gerade dies bewirkt aber auch, dass sich unsere Grenzen verschieben und neu justieren im Laufe unseres Lebens. Wer das Lernen und die Suche nach Erkenntnis nicht aufgibt und einen Wissenshunger hat, der wird auch seine Vorurteile hinterfragen und sie durch Urteile ersetzen. Hierbei setzen wir unbewusst auch die neuen Grenzen unseres Handelns und somit auch unserer Toleranz. Natürlich muss die Frage gestellt werden, ob das Entstehen von ethischen Werten und Normen einen Glauben an ein wie auch immer geartetes höheres Wesen voraussetzt. Wir können dies vermeiden, denn wir wissen heutzutage aus der Evolutionstheorie und der Psychologie wie sich unsere persönlichen Wertvorstellungen zusammensetzen. Ethische Werte und die Erziehung dieser, sind in unserer westlichen Welt jedoch sehr stark mit den Werten und Geboten der Religion verbunden. Historisch war die Kirche die Institution, welche in früheren Jahrhunderten dies zu vermittelt versuchte. Die moralischen Grundfeste wurden durch Kirchenvertreter von den Kanzeln dieser Welt gepredigt. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn dieses Wertesystem in die moderne Welt übernommen wurde. Es bildet die Grundlange für unsere ethischen Werte. Dabei sich allerdings von der Religion zu lösen, ist wiederum eine gesellschaftliche Entwicklung und ein stetiger Prozess.
Willkommene Intoleranz
Aber muss ich (auch als Freimaurer) immer und über all tolerant sein? Ich denke eher nicht. Es gibt Dinge, bei denen muss, sollte und darf man nicht tolerant sein. Ein sichtbares Zeichen einer charakterlichen Entwicklung ist das Eintreten für Ideale und Vorstellungen. Ich will nicht sagen, dass man nicht auch an seiner Toleranz arbeiten kann und dadurch die Grenzen auch verändert werden, allerdings ist es hilfreich, eine strikte Position zu beziehen und nicht von ihr zu weichen. Ein „eiserner Wille“ kann oftmals fälschlicherweise als mangelnde Toleranz ausgelegt werden, wohingegen er eher ein sichtbares Zeichen eines ausgeprägten Charakters ist.
Fazit
Bevor nun wieder behauptet wird, ich wäre intolerant gegenüber Brüdern oder Schwestern, welche an eine wie auch immer geartete höhere religiöse Lebensform glauben, so möchte ich klarstellen, dass dies nicht der Fall ist. Ich habe viele sehr gläubige Brüder und Schwester und so sehr ich auch diesen Standpunkt nicht teile, genauso sehr schätze ich den Austausch mit ihnen. Sie helfen mir alle, mich in Toleranz zu üben und auch meine gedanklichen Grenzen verschwinden zu lassen.
In einem Freimaurer Forum hatte ein Bruder geschrieben, dass sich die Toleranz hinter den anderen Säulen der Freimaurerei (Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit, Humanität), vor allem hinter der Brüderlichkeit stellen sollte. Also geht erst die oft geschworene Brüderlichkeit vor und dann kommt es zur Toleranz. Allerdings denke ich, dass alle diese Säulen gleichberechtigt stehen müssen. Und Toleranz darf dabei nicht hinter einer der anderen stehen, denn gerade in der Toleranz müssen wir uns innerhalb der Vereinten Großloge von Deutschland oft mehr als nur einmal üben.
Ich selbst übe mich gerade auch hier an meiner Toleranz gegenüber solcher „brüderlicher Anfeindungen“ in sozialen Netzwerken…und haue noch ein paar Ecken ab…und dann gehe ich auf meine Reise von der Intoleranz zur Toleranz!