Warum der Grand Orient nicht Unrecht hatte – Die Bibel sollte überdacht werden!

„Die Bibel hat in den heutigen Freimaurerlogen keinerlei dogmatische, sondern ausschließlich symbolische Bedeutung, wobei es dem einzelnen vollkommen freigestellt ist, in ihr das heilige, religiös verpflichtende Buch oder die auf jahrhundertelanger Entwicklung begründete, allgemein verpflichtende Sittenlehre, also ein ethisches Dokument, zu erblicken. […] Die Bestrebungen, die Bibel aus der Loge zu entfernen, weil sie angeblich zu eindeutig dogmatisch verpflichte, haben daher nie dauernden Bestand gehabt. In Frankreich wurde 1877 vom Grand Orient de France gleichzeitig mit der Streichung des A. B. a. W. aus der Verfassung und den Ritualen auch die Bibel abgeschafft. Das hat zu einem Bruche mit der angelsächsischen Freimaurerei geführt, der auch heute noch besteht.“ (aus http://freimaurer-wiki.de/index.php/Bibel)

Die Bibel auf dem Meistertisch zählt seit fast 400 Jahren als eines der großen Lichter der Freimaurerei und das obwohl die Freimaurerei keinen Bibelglauben verlangt. Wie bereits zitiert sieht sie die Bibel als ein ethisches Dokument, also das Buch „des heiligen Gesetzes“. Daher gilt sie eben als unantastbar.

Vor kurzem sprach ich mit einer Schwester, die zu bedenken gab, es sei fragwürdig den Eid auf die Freimaurerei mit der Hand auf der geöffneten Bibel abzulegen, da sie dieses Buch eher für frauenfeindlich hält. Diesem Aspekt wollte ich nachgehen, da es hier um ein festes Sinnbild für Ethik und das heilige Gesetz geht.

 Fragwürdige Bibelstellen

Betrachten wir einmal die Texte in der Bibel (und ja, ich habe sie mehrfach gelesen, auch als Atheist!) und stellen wir uns die Frage, ob wir solch ein Buch als einen ethischen Maßstab verwenden können. Diese Zitate sind nur einige Beispiele, denn sonst würde dieser Text ausarten, da sie zu hunderten in der Bibel vorkommen. Sie zeigen deutlich, was für ein verachtendes Menschen und Frauenbild hier vermittelt werden soll.

(Zitiert nach der Lutherbibel, revidierte Fassung 1984, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2002)

Todesstrafe für vergewaltigte Mädchen

„Wenn eine Jungfrau verlobt ist und ein Mann trifft sie innerhalb der Stadt und wohnt ihr bei, so sollt ihr sie alle beide zum Stadttor hinausführen und sollt sie beide steinigen, dass sie sterben, die Jungfrau, weil sie nicht geschrien hat, obwohl sie doch in der Stadt war, den Mann, weil er seiner nächsten Braut geschändet hat; …“ (5. Mose 22,23-24)

Todesstrafe für Homosexuelle

„Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; …“ (3.Mose 20,13)

Todesstrafe für widerspenstige und ungehorsame Söhne

„Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, …“ (5. Mose 21,18-21)

Noch mehr Gewalt gegen Kinder und Frauen

„So zieh nun hin und schlag Amalek und vollstrecke den Bann an ihm und an allem, was es hat; verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“ (1. Samuel 15,3)

„Es sollen auch ihre Kinder vor ihren Augen zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden.“ (Jesaja 13,16)

Die Rolle der Frau

„Wenn jemand an eine Jungfrau kommt, die nicht verlobt ist, und ergreift sie und schläft bei ihr, und es findet sich also, so soll, der bei ihr geschlafen hat, ihrem Vater fünfzig Silberlinge geben und soll sie zum Weibe haben, darum dass er sie geschwächt hat; er kann sie nicht lassen sein Leben lang.“ (5 Mose 22:28-29)

„Warum habt ihr alle Frauen leben lassen? (…) So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.“ (4. Mose/Num. 31,15-18)

„Ich lasse euch aber wissen, dass Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, der Mann aber ist das Haupt der Frau. Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, denn er ist Gottes Bild und Abglanz, die Frau aber ist des Mannes Abglanz. Denn der Mann ist nicht von der Frau sondern die Frau von dem Mann. Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen.“ (1. Korinther 11)

Toleranz

„Gott (…) frißt die Völker, die ihm Feind sind, er zermalmt ihre Knochen.“ (4. Mose 24,8)

Familie

„Gott hat geboten: Ehre deine Eltern. Wer über seine Eltern flucht, soll sterben!“ (Matthäus 15,4)

„Wer meinetwegen seine Familie verlässt und Frau und Kinder im Stich lässt, wird hundertfach belohnt werden und das ewige Leben empfangen“ (Matthäus 19,29)

Neue Wege ohne Bibel – das weiße Buch

Auf dem Konvent 1877 erwähnte der Grand Orient erstmals den Begriff des „Allmächtigen Baumeisters aller Welten“ aufgrund des Antrages des protestantischen Geistlichen Frédéric Desmons nicht mehr: „Die Freimaurerei hat zu Grundsätzen die unbedingte Gewissensfreiheit und die menschliche Solidarität. Sie schließt niemanden um seines Glaubens willen aus.“ Als dann der GOdF zusätzlich das „Buch des heiligen Gesetzes“ durch ein „weißes Buch“ ersetzte, kam es zur endgültigen Spaltung: Die Vereinigte Großloge von England beendete die Beziehungen 1913 zum GOdF offiziell und erkannte ihr die Regularität ab.

Der Schritt aber, die Bibel als eines der großen Lichter der Freimaurerei zu entfernen gewann immer mehr an Bedeutung in der modernen Freimaurerei. Die Reformlogen der 20er und 30er Jahre wie z.B. der Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne sah auch das Auflegen eines weißen Buches vor.

Noch immer gibt es Logen, die zur Bibel auch ein weißes Buch auflegen und das unter der offiziellen Freigabe der Großloge AFuAM.

Der neue Weg – Fazit

Wenn wir erneut betrachten, dass die Bibel ein Buch des „heiligen Gesetzes“ darstellen soll und einen ethischen und moralischen Standpunkt vermitteln soll, so müssen wir doch heutzutage hinterfragen, ob die Bibel noch zeitgemäß ist und das richtige Buch um ein Wertemodell zu vermitteln. Mag nun einer sagen, dass sie auch viele gute Werte vermittelt, aber dem muss man entgegen setzen, dass sie eben auch eher fragwürdige Werte ebenso vermittelt.

Ich jedenfalls kann den Standpunkt meiner Schwester verstehen und teile ihn. Die Bibel ist für mich persönlich nicht geeignet um darauf einen Schwur abzulegen, da sie moralisch und ethisch sehr fragwürdig ist. Sie ist von Menschen geschaffen und nicht, das so oft zitierte „Wort Gottes“.

Wir sollten dies große Licht der Freimaurerei überdenken und einen Weg finden zwischen dem moralischen Anspruch und der Regularität der UGLoE. Wie dieser Weg zu bestreiten ist, muss erst erarbeitet und diskutiert werden. Aber die Möglichkeit, mehrere Bücher aufzulegen wie in meiner Mutterloge (Bibel, weisses Buch, Beethovens 9. Sinfonie) und das völlig regulär wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung…

Freizeit-Toleranz

Kurt Tucholsky sagte einmal:

„Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat!“. Und so unrecht hat er nicht, wie wir gleich feststellen werden.

Es ist immer wieder schön daran erinnert zu werden, dass „Toleranz“ eine der Grundsätze der Freimaurerei sein soll. Wir Brüder sollen tolerant zu anderen Meinungen und Menschen sein. Doch mitunter wird das auf eine sehr harte Probe gestellt.

Mittlerweile sollte es auch jedem bekannt sein, dass ich ein stolzer Freimaurer (oh ja, ich stehe auf unsere Ideale und diese Bruderschaft!) bin und auch bekennender Atheist und Antitheist. Ich sehe hier absolut keinen Widerspruch zu den Anforderungen der Großloge von England mit ihrer Forderung nach einem „supreme beeing“ und auch kann ich ein Ritual emotional erfassen und tragen. Ich sehe in der Natur, sowie ihrer Gesetze das „göttliche“ (wenn ich es einmal so nennen darf) und kann somit die Sinnbilder in einem Ritual für mich füllen…Mutter Natur als großer Baumeister, der sehr schöne Dinge gestaltet hat.

Viele der religiös geprägten Brüder, sehen die Freimaurerei immer noch als eine Art „Ersatzreligion“ an und tragen diese Meinung als die „einzig wahre Form der Freimaurerei“ nach außen. Sie lehnen Schwestern, also Freimaurerinnen als „irregulär“ ab und fordern die Anerkennung „der Lehren Jesu Christi“. Sie berufen sich hierbei auf den christlichen Bezug als Allmächtiger Baumeister.

Spannend hierbei ist nur, dass die Großloge von England (UGLoE) vorgibt, dass Freimaurerei KEINE Religion oder ein Ersatz sein darf (wie schon oft hier besprochen). Vielleicht sollten wir uns wieder vermehrt daranhalten und klar und deutlich machen, dass es KEINE Ersatzreligion ist. Es ist ein ethischer Bund und daran sollten wir uns auch erinnern und Strömungen, die hier klar in einer Religion abgleiten wollen, nicht zu viel Platz und Freiraum geben. Es kann aber eben, wie im Freimaurer Orden üblich, eine Bruderschaft sein, ein Bund, der sich auf ihre christliche Tradition bezieht.

Ich möchte aber NICHT alle diese Brüder über einen Kamm scheren. Ich kenne viele Brüder, die christlich geprägt sind und schätze sie als Brüder sehr. Ihre Ansichten und Ideen bereichern mich und erweitern meine Gedanken. Ich respektiere ihre Meinung und schätze sie sehr (stimmt doch Hagen?) und setze mich dafür ein, dass sie ihre Meinung sagen dürfen. Wenn ich sie auch nicht unbedingt teilen kann, so bereichern sie dennoch meine Sichtweise auf diese Dinge.

Aber leider gibt es hier auch ein paar Ausnahmen, die Toleranz scheinbar nur unter ihren Brüdern oder an den Logenabenden üben und mich (und somit viele meiner weiteren Brüder) als „Nicht-Freimaurer“ bezeichnen.

Mit so einem Bruder habe ich vor kurzem zu tun gehabt, als ich eine sehr überzogene These zu den alten Pflichten von Anderson in einem sozialen Netzwerk veröffentlichte. Hierbei wurde ich konkret von diesem Bruder auf mein Empfinden während des Rituals angesprochen. Ich nahm mir gern die Zeit und beantwortete ihm alle Fragen und lud ihn zudem in meine Loge ein, damit er nachvollziehen kann, dass eine Ritualarbeit auch ohne einen „Gottesbezug“ tragend und stimmungsvoll sein kann.

Was daraufhin folgte schockierte selbst mich. Er antwortete (und ich möchte hier seine Nachricht wiedergeben, Schreibfehler korrigiert. Urheber und Verfasser sind mir bekannt, werden aber nicht genannt)

„Danke für das Angebot, aber danke nein. Vor meiner Aufnahme habe ich mich nicht intensiv mit den Aufnahmekriterien auseinandergesetzt. Nur Andersons Constitutions und die Meinung der englischen Großloge. Von beiden wird Glaube an ein höheres Wesen/Prinzip gefordert. Das war die Grundlage, warum ich mich zum Beitritt entschlossen habe. Hätte ich gewusst, dass auch Atheisten aufgenommen werden, wäre ich heute kein Freimaurer. Das heißt nicht, dass diese Personen nicht nette, soziale, integrere, höfliche, ehrenhafte Männer sind, nur für mich keine Freimaurer. Jeder Schamane, Druide, Muslim, Pantheist steht mir näher. Das ist eben die genannte Gefühls- und spirituelle Ebene. Diese Schlucht kann ich, bei aller Toleranz, nicht überschreiten. Verstandesgemäß ja, emotional nicht.“

Ich muss zugeben, dass mich solche Worte sprachlos machen. Leider ist es nicht das erste Mal, dass hier initiierte Brüder und Atheisten von andersgläubigen Brüdern angegangen wurden. In diversen Foren und Facebook Gruppen kann man nachlesen, wie sehr es hier um die Toleranz bestellt ist. Wer sagt, dass er mit der Meinung von Atheisten (und wir nehmen in diesem Land einen größeren Personenkreis ein, als jede religiöse Einzelgemeinschaft!) in der Freimaurerei nicht leben kann, den möchte ich an den Grundsatz der Toleranz erinnern.

Wir haben innerhalb der Vereinten Großloge von Deutschland die Möglichkeit, dass jeder Interessent an diesem ethischen Bund, sei es ein Atheist oder ein Gläubiger, einen Platz für sich finden kann. Dieses Konstrukt ist einmalig und man sollte die Möglichkeiten nutzen, auch mal über seinen Tellerrand hinauszuschauen und sich somit umzuschauen (wie es schon der Grad des Gesellen fordert!). Es geht hier um Ideale und Ziele die uns verbinden und nicht um religiöse Aspekte, die uns teilen könnten. Wie sollte denn eine Weltbruderkette aussehen, wenn wir es aus persönlichen Empfinden nicht schaffen, uns selbst die Hand zu reichen? Wie sollen wir dann in der Lage sein, einem anderen Menschen die Hand zu reichen um ihm zu helfen? Toleranz untereinander aber auch in die profane Welt hineinreichend, kann kein zeitlich beschränkter Aufruf sein. Das würde uns wiederum zu den bereits diskutierten „Freizeitmaurern“ machen, die auf „Teilzeittoleranz“ laufen. Wenn dies jedoch unsere Ziele sind, dann sollten wir uns besser überlegen, erneut Lehrling zu sein und an uns selbst zu arbeiten. Sollten wir zu der erwähnten Einstellung gelangen, so muss die Arbeit an uns selbst das oberste Ziel sein, bevor wir uns wieder „um uns sehen“. Mit dem Finger urteilend auf einen anderen Bruder zu zeigen ist unangebracht und überheblich.

Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Umgangssprachlich ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht. (https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz)

Wenn wir uns als Brüder und Schwestern Freimaurer an diese Definition halten, dann müssten wir soweit gereift sein, eben diese fremden Meinungen zuzulassen und gelten zu lassen.

Ich tausche mich gerne mit allen Brüdern aus und spreche offen über meine Ansichten, warum sich Freimaurerei und Atheismus dennoch verträgt, aber ich lasse mich ungern von „Freizeit-toleranten Brüdern“ als Nicht-Freimaurer beleidigen. Das zeigt bei diesen Brüdern eher von einer noch langen Arbeit am eigenen rauen Stein, gerade was die Toleranz angeht….

Interessant ist noch die Tatsache, dass der erwähnte Bruder mit seiner Meinung leider sehr alleine stand und stark im sozialen Netzwerk für seine Äußerung, dass atheistische Brüder „keine Brüder Freimaurer“ sein, stark angegangen wurde. Schlussendlich entschloss er sich, das Forum zu verlassen. Scheinbar waren einige andere Brüder ebenso nicht tolerant, was diese Äußerungen anging.

Wenn wir uns mal an die eigene Nase fassen und über den Sinn der Toleranz nachdenken, so kann dies zu einem neuen und hoffentlich verbesserten Umgang mit- und untereinander führen. Ich selbst übe mich gerade auch hier an meiner Toleranz gegenüber solcher „brüderlicher Anfeindungen“…und haue noch ein paar Ecken ab…und dann gehe ich auf meine Reise von der Intoleranz zur Toleranz!

Epilog:

Nach dem erwähnten Vorfall hatte ich das Bedürfnis, mich mit meinem Bruder Hagen auszutauschen. Hagen hilft mir oft, die Ideen und Ansichten von Brüdern des Ordens mit deren christlicher Prägung zu verstehen. Ich schätze ihn als Bruder sehr und im Laufe des Austausches ist daraus trotz der räumlichen Trennung eine Freundschaft entstanden. Ich erinnere mich noch an ein zufälliges Treffen in einem Fastfood Restaurant in Hamburg…

Hagen ist aktiver Blogger der Webseite https://hagenunterwegs.wordpress.com/ auf der tolle Texte von ihm zu finden sind.

Er hatte sich mit dem Vorfall ebenso beschäftigt und so kamen wir zu dem Entschluss, jeweils einen Text über Toleranz zu verfassen, mit unseren jeweils unterschiedlichen Sichtweisen. Daher möchte ich euch gerne auch seinen Artikel ans Herz legen:

https://hagenunterwegs.wordpress.com/2017/11/15/ist-das-die-viel-geruehmte-freimaurerische-toleranz/

Viel Spaß beim Lesen