Interview mit Hans-Hermann Höhmann – „Das Ritual in der Freimaurerischen Praxis“

IMG_1637Mit seinem neuen Buch „Das Ritual in der Freimaurerischen Praxis“ zeigt der Autor Hans-Hermann Höhmann, dass man sehr wohl über das freimaurerische Ritual, seine Besonderheiten und Wirkungsweisen sprechen kann, auch und gerade mit Außenstehenden, ohne die sogenannte Arkandisziplin, also die Verschwiegenheit über die Inhalte unserer Rituale, zu verletzen. Ganz nebenbei befreit er die Diskussion von mancher verstaubten Sichtweise.

Ich hatte Mitte März im Rahmen eines Symposiums in Frankfurt die Gelegenheit den Redner der Großloge AFuAM, Hans-Hermann persönlich zu treffen und mich mit ihm über sein neues Buch auszutauschen. Ich möchte hier das komplette Interview wiedergeben, welches in einer der kommenden Ausgaben der Humanität erscheinen wird. Ein herzliches Dankeschön geht auf diesem Weg an meine Brüder Hans-Hermann für seine Zeit und sein Engagement, sowie Bastian Salier, Chefredakteur der Humanität.

Für alle Interessenten (sehr empfehlenswert, auch für Nicht-Freimaurer und Interessenten!):

Hans-Hermann Höhmann: „Das Ritual in der Humanistischen Freimaurerei; Funktion, Struktur, Praxis“. 112 Seiten, Taschenbuch, erschienen zum Preis von 9,00 € im Salier-Verlag. ISBN 978-3-943539-42-4

 

Lieber Br. Hans-Hermann, diejenigen, die dich etwas länger kennen, wissen, dass du dich schon seit längerem mit dem freimaurerischen Ritual befasst hast. Warum kam es dann gerade jetzt zu deinem Buch? Was war deine Motivation hierzu?

Hierfür gab es drei Anstöße: Einmal meine eigene Logenpraxis. Meine Kölner Brüder vertrauen mir ja immer noch die Leitung ritueller Arbeiten an. Da wollte ich einfach wissen, was ich tue, wenn ich am Ritual leitend mitwirke, was für mich und die Brüder rituelle Präsenz bedeutet und worauf es bei der performativen Praxis des Rituals ankommt. Zum anderen bin ich ja als Redner der Großloge häufig Referent bei internen und öffentlichen Veranstaltungen der Logen. Dabei wurde mir immer mehr bewusst, dass man ohne klare und durchdachte Vorstellungen von Wesen und Funktion der freimaurerischen Rituale nicht über Freimaurerei informieren kann. Drittens schließlich arbeite ich ja seit Jahren intensiv auf dem Gebiet der Freimaurerforschung. Da war es mir bald bewusst, dass sich ohne klares Bild von der Entwicklung der Rituale, ihren Wegen, aber auch ihren Abwegen, weder die Geschichte der Freimaurerei verstehen lässt, noch die Struktur des Bundes als Ideensystem und gesellschaftliche Assoziation.

Wie schwer fiel es dir, ein Buch über das freimaurerische Ritual zu verfassen, ohne dabei jedoch etwas vom Ritual selbst preiszugeben? Also wie schwer war die Wahrung des Arkanums? Und wie weit ist der Begriff „Geheimnis“ heute noch relevant?

Wenn man sich mit dem Ritual beschäftigt, insbesondere, wenn man die Ergebnisse der modernen Ritualforschung beachtet, ist es nicht schwer, inhaltlich angemessen darüber zu schreiben. Verletzungen der „Arkandisziplin“ muss ja nur der befürchten, der vom Ritual nicht mehr kennt, als die Texte und Symbole. Ich bemühe mich darum, Wesen und Funktion des Rituals zu verstehen und darzustellen. Darüber kann man sprechen und schreiben, ohne das „Arkanum“ – was immer dies ist – zu verletzen. Ja, man muss dies sogar tun, wenn man Wert darauflegt, dass Freimaurerei innerhalb des Bundes und in der Öffentlichkeit adäquat verstanden wird. „Worte und Zeichen und Gebräuche sind nicht die Freimaurerei“, sagt Lessing, und dass das Erlebnis des Rituals eine geheimnisvolle Versenkung in das eigene Selbst bewirkt, ist eine Tatsache, zu der sich der Freimaurer ohne jede gedankliche Verrenkung bekennen kann.

Was macht heutzutage denn Rituale noch attraktiv? Und wo hat ein Ritual einen reellen Bezug zur Wirklichkeit, zum Alltag des Bruders/der Schwester?

Rituale macht heutzutage attraktiv, was Rituale immer attraktiv gemacht hat. Seitdem der Mensch sich seiner Persönlichkeit, seiner Individualität und seiner Freiheit bewusstgeworden ist, hat er auch Bedrohung und Kontingenz erlebt und nach Möglichkeiten gesucht, in der Wechselhaftigkeit und Unbestimmtheit seiner Existenz Sicherheit zu finden. Ein Weg zu diesem Ziel war die Entwicklung und Praktizierung von Ritualen: Rituale integrieren, Rituale vermitteln Ordnungsvorstellungen, Rituale sorgen für Legitimität, Rituale schaffen Grundvertrauen, Rituale schaffen zwischenmenschliches Vertrauen, Rituale fördern Identität, Rituale motivieren, Rituale vermitteln gehobene Lebensgefühle. Dass Rituale Halt geben und Richtung vermitteln, stellt ihre Beziehung zum Alltag der Freimaurer und Freimaurerinnen her. Echte Rituale stellen stets Beziehungen zwischen ritueller Zeit und rituellem Raum auf der einen und der Außen- und Alltagswelt auf der anderen Seite her. Sie würden ihren Sinn verfehlen, wenn sie nur Bestandteile einer selbstreferentiellen Spirale immer neuer Rituale wären.

Wie siehst du das Schweizer Modell? Sollten die Logen mehr Freiheiten in der Ritualwahl und -gestaltung bekommen?

Wichtig ist zweierlei: Die Festlegung von grundlegenden Strukturen freimaurerischer Rituale, die überall in der Welt wieder erkennbar sind, und die Freiheit der Loge, dem Ritual ihre eigene Wirklichkeit, ihr spezifisches Flair zu vermitteln. Das Gemeinsame der Freimaurerei muss ebenso deutlich werden, wie der besondere Charakter der einzelnen Loge. Die besondere Identität der Loge ist das, was ich beim Besuch von Logen in der Schweiz immer wieder auf inspirierende Weise erlebe.

Wie kann und sollte sinnvoll mit dem Ritual gegenüber der Öffentlichkeit umgegangen werden? Was bedeutet heute Arkandisziplin bezogen auf das Ritual?

Über Wesen und Funktion freimaurerischer Rituale kann nicht nur in der Öffentlichkeit gesprochen werden, sondern dies sollte auch mit großer Selbstverständlichkeit geschehen. Freilich verbietet der Charakter des Rituellen ein plakatives Vorgehen. Gespräche über Rituale bedürfen eines Rahmens, der dem spirituellen Wesen des Rituals entspricht. Dann jedoch ist Offenheit am Platz. Wenn ich etwa einem Suchenden gegenüber erkläre, dass die im Ritual angemahnte Verschwiegenheit Voraussetzung für Vertrauen und Freundschaft ist, so mache ich ihn zugleich mit einer wesentlichen Eigenschaft des Rituals vertraut: Er lernt, dass mein Schweigen über Einzelheiten des Rituals, die mir von meinen Brüdern anvertraut sind, für ihn die Chance bedeutet, mir als zukünftigem Bruder vertrauen zu können, weil dann ja auch seine Geheimnisse bei mir sicher sind.

Kann man denn von „dem Ritual“ überhaupt sprechen, wenn wir alleine in der AFuAM 3 Grade mit Ritualen haben und diverse Zeremoniale?

Die drei Grade der Freimaurerei – Lehrling, Geselle und Meister – bilden einen rituellen Zusammenhang. Die drei Grade als Einheit zeigen die anthropologische Stimmigkeit des freimaurerischen Gradsystems, markieren aber auch seine sinnvollen, ja notwendigen Grenzen. Die Abfolge der drei Grade und die dazu gehörenden Übergangsriten der Aufnahme, Beförderung und Erhebung sollen keine Hierarchie begründen. Aus ihnen folgt auch keine Binnendifferenzierung innerhalb der Loge, die zu Konflikten in der Loge führen könnte. Die drei Grade spiegeln vielmehr wechselnde Lebenssituationen und Reifestufen des Menschen, denn – wie der Dichter sagt –: „des Maurers Wandeln, es gleicht dem Leben“. Lehrling zu sein bedeutet zu beginnen, heißt, sich seiner selbst bewusst zu werden, zu lernen, was man will und an welchen Leitvorstellungen man sich orientiert. Geselle zu sein meint, sich in seinem aktuellen Lebenslauf aktiv zu verorten, sich in der Welt zu orientieren, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen und mit ihnen innerhalb und außerhalb der Freimaurerei gemeinsam nachzudenken und zu handeln. Meister werden heißt, den Verlauf des bisherigen Lebens kritisch anzunehmen, sein Ende zu bedenken, die Konfrontation mit Lebenskrisen und Tod auszuhalten und angesichts der Transzendenz neue Möglichkeiten zu erkennen.

In deinem Buch beschreibst du die Auswirkungen von Ritualen auf den Menschen. Welche „Wirklichkeit“ entsteht durch das freimaurerische Ritual bei den Teilnehmern?

Freimaurerische Rituale, die ja nicht vom Himmel fallen, sondern von Menschen entworfen und gestaltet werden, wirken vielfältig auf Freimaurer und Freimaurerin zurück. Jedem Ritualteilnehmer kommt die Freiheit zu, zu entscheiden, was für ihn besonders wichtig ist. Für mich haben die Ordnungsvorstellungen, die das Ritual vermittelt, eine besondere Bedeutung. Durch ihre Symbole und Rituale bewirkt die Freimaurerei eine dreifache Einordnung des Freimaurers. Im Habitus des Bruders soll eine moralische Ordnung begründet werden: „Schaue in dich“, erkenne dich selbst, bewähre dich, lege das Winkelmaß an dich und dein Handeln. Es soll eine soziale Ordnung begründet werden: „Schaue um dich“, ich und du gehören zusammen, der „Tempelbau der Humanität“ gelingt nur in brüderlicher Verbundenheit, fühle dich dem Zirkel verpflichtet. Und es soll eine kosmologische Ordnung begründet werden: „Schaue über dich“, die Arbeit des Freimaurers dient einem höheren Sinn, sie erfolgt mit Bezug zur Transzendenz, wobei Transzendenz auch als innerweltliches Wertgefüge verstanden werden kann. Folge dem Gesetz, das du dir in der Gemeinschaft mit anderen Menschen selbst gegeben hast.

Was sind die wichtigsten Anforderungen an eine gelingende Ritualpraxis? Und wie kann Musik das Ritual tragen?

Ganz wichtig ist die Dimension der Ritual-Ästhetik. Das Ritual muss „schön“ ausgeführt werden, hässlich ausgeführte Rituale scheitern in ihrer Wirkung. Konkret: Es kommt auf die sprachliche Schönheit der Ritualtexte an, ihren Sinn und ihre inhaltliche Stimmigkeit, aber auch auf die Art zu sprechen, auf die Abstimmung von Lautstärke und Sprachrhythmus sowie auf den Ausdruck und die kommunikative Kraft der Körper, die sich im Sinne einer wohlüberlegten rituellen Choreographie im Tempelraum bewegen. Alle Ritualteilnehmer, nicht nur die „Ritualbeamten“, sind für das rituelle Gelingen verantwortlich. Sie haben den Prozess des Rituals mit zu vollziehen und dürfen ihn keinesfalls stören, indem sie etwa korrigierende Zwischenrufe machen. Vom Grad der Ästhetik beim Ablauf des Rituals und von der Ritualkompetenz der das Ritual ausführenden Brüder hängt letztlich ab, ob sich jene emotionale Verzauberung einstellt, die das „Geheimnis“ des freimaurerischen Rituals ausmacht, das in der Tat als erlebte Verzauberung nicht verraten werden kann, und das im Grunde sehr wesentlich ja auch ein subjektives Geheimnis ist, das jeder Freimaurer auf seine ganz spezifische Weise erlebt.
Was die Musik betrifft, so muss sich die gewählte Musik dem Ritual ein-, ja unterordnen. Musik im Ritual darf das Ritual nicht in ein Gesprächskonzert transformieren. Zum anderen muss die Musik, vor allem, wenn sie mit Text verbunden, d. h. Gesang ist, der konkreten rituellen Situation entsprechen, in der sie zum Einsatz kommt.

In deinem Buch erwähnst du folgendes deutlich: „Die Frage nach der religiösen Überzeugung eines Suchenden, ja danach, ob er überhaupt eine Gottesvorstellung hat, ist für die Freimaurerei völlig irrelevant, ja sie ist unzulässig. Der Freimaurer hat sich moralisch, nicht religiös zu verpflichten. Ein guter und redlicher Mann soll er sein, ein Mann von Ehre und Anstand, ohne Rücksicht auf Bekenntnis und religiöse Überzeugung – dieser Forderung der Alten Pflichten ist nichts hinzuzufügen. Die Humanistische Freimaurerei ist offen für Menschen aller Weltanschauungen und Religionen, sie ist offen auch für Menschen mit keiner religiösen Bindung im herkömmlichen Sinn, und sie muss offen sein auch für Agnostiker und Atheisten“. Diesen Standpunkt vertreten nicht viele, gerade Brüder anderer Großlogen haben hiermit ein mehr als deutliches Problem. Wie konterst du den Brüdern, die deine Meinung nicht gelten lassen und Freimaurerei sogar als eine Art Ersatzreligion betreiben?

Es ist doch eigentlich ganz einfach: Freimaurer wollen Baumeister eines besseren Ichs und einer besseren Welt sein. Und wenn sie heute ernst genommen werden wollen, dann müssen sie sich moralisch und nicht religiös dazu verpflichten, diese Aufgaben tätig und redlich zu übernehmen. Ob die moralische Verpflichtung des Freimaurers auf einem religiösen Glauben oder auf einer säkularen Ethik beruht, kann man getrost dem einzelnen Bruder überlassen. Und was das „Kontern“ betrifft: Daran liegt mir nichts. Ich versuche, mit Argumenten zu überzeugen. Freimaurerei hat alte Wurzeln, aber sie braucht auch Flügel, sie muss weiterentwickelt werden. Denktabus und diplomatische Rücksichten taugen nicht für den erforderlichen Diskurs. Es ist schon richtig: das Gesetz der Sittlichkeit nur kann Freiheit vermitteln, aber Gesetze, die die Freiheit notwendiger Aufbrüche behindern, gilt es zu überwinden, auch wenn die Bretter hart sind, die es zu bohren gilt.