„Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Umgangssprachlich ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz
Toleranz ist eine der 5 Grundsätze der modernen Freimaurerei. Sie dient uns als Grundlage für einen brüderlichen und schwesterlichen Umgang untereinander, aber auch über die Grenzen der Logen hinaus.
Was aber nun, wenn diese Toleranz eher auf dem Papier steht und selten ausgelebt wird? Dürfen wir dann nicht von der „Teilzeit- Toleranz“ sprechen?
Toleranz über die Obödienzen hinaus
In der Freimaurerei stellen wir leider allzu oft den menschlichen Faktor fest, welcher gerade zu Intoleranz führt. Es gibt in den sozialen Netzwerken Foren von Freimaurern in denen Brüder, welche sich als Agnostiker, Atheisten oder gar Antitheisten bekennen, als irregulär gebrandmarkt werden. Andersherum wird auch den Anhängern des Freimaurer Ordens mit ihrem Bekenntnis zu Jesu Christi die gleiche Irregularität vorgeworfen, da ja eigentlich die Freimaurerei keinen Bezug zu einer Religion haben darf. Wenn wir diese Diskussionen verfolgen oder uns sogar an ihnen beteiligen, so müssen wir uns oft ernsthaft die Frage stellen, was wir an Toleranz nicht verstanden haben. Wir sind alle Brüder in der Vereinten Großloge von Deutschland und haben hierbei unsere Loge gesucht und gefunden. Durch die Vielfalt in der VGLvD kann jeder nach seinen Interessen seine Bruderschaft finden. Somit sollten wir also an unserer Toleranz arbeiten und die Brüder anderer Großlogen ebenso als regulär anerkennen, wie wir es auch für uns erwarten.
Toleranz für Mitmenschen
Oft muss man leider feststellen, dass die Toleranz auf der Strecke bleibt, wenn es um unsere Mitmenschen geht. Da werden schnell Vorurteile gefällt und Menschen in Schubladen gesteckt. Tolerant sein ist dann eine Modeerscheinung, wenn es gut passt oder bequem ist. Da werden den Hilfsorganisationen, welche sich um Flüchtlinge kümmern, finanziell geholfen, aber wenn dann die Turnhalle besetzt ist und das abendliche Fußballtraining ausfallen muss, dann ist die Toleranz auch schon wieder weg. Man hat ja schließlich schon geholfen.
Toleranz für unsere Schwestern
Mangelhafte Toleranz stelle ich auch oft von Brüdern gegenüber den Schwestern der Frauengroßloge fest. Sie werden als irreguläre Schwestern abgetan oder als „nette Gruppierung“. Aber ist es im Jahr 2017 wirklich ein freimaurerischer Gedanke, diese Art von Sexismus und Diskriminierung gegenüber Frauen zu haben? Ich denke nicht. Die Schwestern folgen den gleichen hohen Zielen und Idealen der königlichen Kunst, wie auch wir Brüder. Aber gerade hier sieht man auch die „Teilzeit-Toleranz“ einiger Brüder am deutlichsten: Die Clubabende der Damen werden zwar gern gesehen und sich mit Frauenlogen im Logenhaus geschmückt, aber wenn es zu Tempelarbeiten oder sogar zu Gemeinschaftsarbeiten kommen soll, wird hier von der abstrusen Idee von der „Entweihung des Tempels“ gesprochen und rigoros abgelehnt. Jedoch ist so eine Ausgrenzung nach 300 Jahren Freimaurerei nicht mehr zeitgemäß und unangebracht.
Sichtweise auf die Toleranz
Man muss sich in Toleranz üben und auch bereit sein, die Sichtweise zu ändern. Was für den einen tolerant sein bedeutet ist für den anderen Menschen evtl. schon Normalität. Wann wir etwas tolerant sind, kann nicht allgemeingültig definiert werden und liegt im Auge des jeweiligen Betrachters. Die Sichtweise auf Toleranz ist hier ein fließender Prozess. Ändern wir unsere Sichtweise über einen bestimmen Vorfall oder Grund, den wir toleriert haben, so kann dies dann in unsere allgemeine Einstellung übergehen.
Keine Toleranz, auch keine Teilzeit-Toleranz
Toleranz, egal in welcher Ausprägung und Form, kann auch völlig fehl am Platz sein. Der Maurer wird im Ritual aufgerufen in die Welt rauszugehen und sich als Freimaurer zu bewähren, dem Unheil nie den Rücken zuzudrehen. Bei Misshandlungen von Schutzbedürftigen, Kindern und Diskriminierung dürfen wir nie und niemals auch nur den Hauch einer Toleranz zeigen oder auch nicht wegsehen. Dem Schwachen zu helfen haben wir alle geschworen und uns für ihn einzusetzen. In jeder Ritualarbeit werden wir erneut daran erinnert. Das macht unsere ethische Geisteshaltung, was die moderne Freimaurerei nun einmal ist, aus.
Vorurteile und Teilzeit-Toleranz
Es ist an uns, am eigenen Stein zu arbeiten und uns in Toleranz zu üben und die Herausforderung anzugehen, nicht in Vorurteile zu verfallen. Vorurteile sind es, die unserer alltäglichen Toleranz und Akzeptanz im Wege stehen. Wir fallen sie unbewusst, schnell und oftmals ohne böse Absicht. Wir beurteilen unser Gegenüber anhand von einem vorgefertigtem oder von außen geprägtem Bild und denken zu sehr in Schubladen. Diese Einteilung macht jeder Mensch und stellt per se kein grundsätzliches Problem dar, außer, wenn diese geistige Gruppierung auf Vorurteilen und nicht auf Fakten basiert. Hier sind wir alle aufgefordert uns nicht blind leiten zu lassen oder zu glauben was uns von außen herangetragen wird. Hier heißt es zu reflektieren und nachzuvollziehen warum ich dieses Urteil über jemanden anderen gefällt habe. Ob wir jemanden wortwörtlich riechen können, entscheiden wir Menschen über unsere Nase und Botenstoffe, ob wir jemanden sympathisch finden, anhand des ersten Eindrucks. Dies alles geschieht innerhalb von Sekunden und es dauert ein vieles länger, den Menschen aus der Schublade wieder herauszunehmen.
Toleranz und Gelassenheit
Wo genau liegt der große Vorteil, wenn wir uns in Toleranz üben? Hierbei kommt die Gelassenheit an erster Stelle. Sich in Toleranz üben heißt auch Gelassenheit für sich zu entwickeln, gelassen gegenüber einigen Einflüssen zu sein. Wir werden uns weniger über etwas Unnötiges aufregen, Zeit und Anstrengung verschwenden in Dinge, welche wir zum einen nicht mehr beeinflussen können oder ohnehin nicht für so bedeutungsvoll sind, wie sie auf dem ersten Blick erscheinen. „Aus jedem Tag das Beste zu machen, das ist die größte Kunst“, sagte schon der Philosoph und Schriftsteller Henry David Thoreau. Ist es hierbei gerade nicht von großem Vorteil, wenn man seine Lebzeit nutzt und daraus das Beste macht und nicht in Vorurteilen, Intoleranz und damit in Unruhe und Stress versinkt? Gerade die Gelassenheit geht doch Hand in Hand mit einer der wichtigsten Meistertugenden in der Freimaurerei, der Geduld. Geduld kann ich nur entwickeln und verstärken, wenn ich die nötige Gelassenheit mitbringe. Alleine die Gelassenheit wäre ein eigener Artikel wert.
Persönliches Fazit
Wenn wir also die Teilzeit-Toleranz und die Intoleranz, basierend auf Vorurteilen überwinden, kommen wir der Idee der Toleranz als Grundsatz der Freimaurerei immer näher und somit haben wir uns bemüht, dieses Ziel zu erreichen. Gelassenheit führt uns auf direktem Weg zur Geduld und verbessert den mitmenschlichen Umgang.
Ich selbst kann mich leider auch nicht aus diesen Gedanken herausnehmen, auch ich arbeite weiterhin an meinem rauen Stein, an meinem Ich. Geduld und Gelassenheit ist leider nicht wirklich meine größte Tugend und bedarf täglich an Nachbesserung. Ich ertappe mich immer wieder, wie ich gegenüber meinen Mitmenschen oder auch Brüdern wenig Toleranz an den Tag lege. Ich höre dann in diesen Situationen oftmals Sätze wie „Heute bist du wieder mal Freimaurer mit Teilzeit-Toleranz“. Natürlich fühle ich mich dann dabei ertappt, muss aber auch lachen und gelobe Besserung. Aber gerade diese Worte haben mich über die Toleranz etwas nachdenken lassen….
Überdenken wir unser Verhalten innerhalb der Loge, gegenüber unseren Brüdern und Schwestern aber vor allem gegenüber unseren Mitmenschen in der profanen Welt. Hämmern wir noch etwas am Stein…ich fange mit mir selbst an…