AUDI – VIDE – TACE

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Einleitung

Die Worte Audi, Vide, Tace, also höre, sehe und schweige ist nicht nur das Motto des Inlandsdienstes der Tschechei, sondern auch einer der typischen Sinnsprüche der Freimaurerei. Dies ist so prägend, dass er auf dem Gebäude der Vereinten Großloge von England (UGLoE) verewigt wurde.

Zuhören und sehen und danach über das Erfahrene schweigen sollen nicht nur die Lehrlinge (welche dies durchaus noch erlernen müssen und vieles neues erfahren werden), sondern auch die Gesellen und Meister. Gerade das dauerhafte Lernen und Erlernen ist ein wichtiges Kriterium in der Freimaurerei. Nur wer lernt und sich weiter erkennt, kann auch an sich arbeiten.

Gerade das Lernen und das Erfahren geschieht bei Menschen über seine Sinne. In der Freimaurerei sind alle vertreten und alle Sinne werden auch angesprochen. Jedoch sind sicherlich das Sehen und Hören und somit auch das damit verbundene aufnehmen von Informationen die wichtigsten Sinne. Diese werden mehrfach und auch auf unterschiedliche Weise angesprochen. Abgerundet wird es dann vom Schweigen, in dem wir das uns Anvertraute nicht nach außen tragen.

Betrachten wir die einzelnen Aspekte einmal für sich und die Freimaurerei:

Audi – Vom Hören

Das Zuhören in der Loge ist ein wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen brüderlichen (oder schwesterlichen) Abenden. Nicht nur in den Rituellen Arbeiten im Tempel ist der Bruder dazu aufgefordert dem Redner zu lauschen und dessen Ideen und Gedanken zu reflektieren. Hier kann sich der Maurer völlig fallen lassen und seine Gedanken um die Worte des Vortragenden kreisen lassen. In der Stille arbeitet er (oder sie) an den eigenen Gedanken, welche darauf entstehen.

Zuhören in der Loge

Noch wichtiger ist das Zuhören in den Vortragsabenden mit Aussprache. Hier gilt es gewissen Regeln für den Gedankenaustausch (eine freimaurerische Art der Diskussion) zu befolgen. Der Redner hat das Wort exklusiv und wird nicht unterbrochen. Es werden auch nicht die Meinungen der Brüder gewertet. Somit ist jeder aufgefordert (der sich beteiligen möchte) seine Ideen und Gedanken zu dem vorangegangenen Vortrag beizusteuern. Die anderen Teilnehmer sind in der Position des Zuhörers. Man lässt also das Wort und die Meinung des anderen wertfrei zu und zeigt mit dem Zuhören auch seinen Respekt gegenüber den Brüdern. Somit sollte auch keine Diskussion entstehen, sondern ein sogenanntes brüderliches Gespräch, da eben eine Diskussion die Worte des Einzelnen bewertet.

Zuhören als Tugend

Das „sich selbst zurücknehmen“ und damit ein Schweigen (was wir noch ausführlich betrachten werden) und aktives Zuhören, sollte in den Lehrjahren eines Freimaurers gefördert werden und dann auch eine gewisse Tugend bedeuten. Die Kontrolle über sich selbst, wenn man am liebsten hinausschreien oder widersprechen würde ist eine der schwierigsten Aufgaben eines Maurers, da es nur allzu menschlich ist, Widerworte zu geben, wenn uns etwas gegen den sprichwörtlichen Strich geht. Hat der Bruder (oder die Schwester) dies einmal für sich selbst gelernt, kann diese Eigenheit, des „Aktiven Zuhörens“ auch in anderen Lebenslagen von großem Nutzen sein. Denken wir einmal an Besprechungen oder Meetings innerhalb des beruflichen Umfeldes. Oder sogar an Treffen und Abstimmungen mit Kunden. Hier wird man schnell feststellen, dass zuhören und sich selbst auch zurückzunehmen einen neuen Umgang untereinander schafft, sogar bis zu einem verbesserten Umgang mit Kunden. Aber auch in der kleinsten Gemeinschaft, der Partnerschaft oder Familie kann es mehr als nützlich sein, sich auf sein Gegenüber einzulassen und ihm/ihr zuzuhören. Hier können die Ideen des „Hörens, Sehens, Schweigens“ durchaus einen nützlichen Bestandteil bilden und oftmals auch neue Blickwinkel auf die Meinung des Partners zulassen.

Zuhören als Reise vom Lehrling zum Meister

Die Aufgabe des Lehrlings auf seinem Weg zum Meister ist das aktive Studium des eigenen Ichs. Das „Erkenne dich selbst“ und die damit verbundene Arbeit am rauen Stein, am eigenen Ich, bildet den Weg, den der Maurer für sich gehen muss. Hierbei muss er als Geselle auch reisen und Erfahrungen sammeln, andere Logen besuchen und auch hier Eindrücke erfassen und zuhören. Aber auch das Gespräch mit seinem Bürgen, der ihn durch diesen Weg hin begleitet, ist vom Zuhören geprägt. Denn dieser sollte mit ihm über seiner Entwicklung als Freimaurer sprechen, seine Entwicklung reflektieren und ihn auf dem rechten Weg halten. Hierfür muss der Bruder auch zuhören und die Worte in sich wirken lassen können.

Der junge Maurer hört aber auch Dinge, bekommt Symbole und Sinnbilder erklärt und muss versuchen diese zu erfassen und in seinen bisher gelernten maurerischen Horizont zu bringen. Er muss sich auf diese Sinnbilder einlassen und den Worten der erklärenden Brüder mit der nötigen Aufmerksamkeit lauschen. Sollte aber der Informationsgehalt zu viel sein, so kann man sich immer noch auf die nächste rituelle Tempel Arbeit vertrösten, den oftmals werden die Symbole und Sinnbilder wieder und wieder in den sogenannten „Werkslogen“ erklärt und erläutert.

Vide – vom Sehen

„Als visuelle Wahrnehmung (von lateinisch videre ‚sehen‘) bezeichnet man in der Physiologie die Aufnahme und Verarbeitung von visuellen Reizen, bei der über Auge und Gehirn eine Extraktion relevanter Informationen, Erkennung von Elementen und deren Interpretation durch Abgleich mit Erinnerungen stattfindet. Somit geht die visuelle Wahrnehmung weit über das reine Aufnehmen von Information hinaus.“ (aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Visuelle_Wahrnehmung)

Mit den Augen sehen ist sicherlich einer der wichtigsten Sinne, die wir Menschen haben. Das Sehen ist ein fester Bestandteil einer jeden rituellen Arbeit, da der Mensch über alle Sinne seine Wahrnehmung schärft. Uns werden Zeichen und Symbole vermittelt, deren tiefere Bedeutung wir oftmals erst im Laufe der Jahre erkennen und verstehen.

Sehen im Tempel

Interessenten an der Freimaurerei kennen sicher alle die historischen Bilder, welche eine Aufnahme in die Bruderschaft darstellen, bei der dem Neuaufzunehmenden oder Neophyten die Augen verbunden sind. Dies dient nicht nur der Sicherheit der Brüder, welche unerkannt bleiben wollen und sich nur dem Bruderkreis offen zeigen, nein die Augenbinde hat auch einen symbolischen Charakter im Tempelraum. Der neu aufzunehmende Bruder wird mit verbundenen Augen in den Tempelraum eingeführt. Dieses symbolische „Nicht-Sehen“ soll dem Suchenden vor Augen führen (merkt ihr die Ironie an dem Satz J), dass er sich bisher nicht sehend durch die Welt bewegt hat und das Licht sucht. Er sieht den Bruderkreis vor dem Abnehmen der Binde nicht und muss sich diesem blind anvertrauen, wenn er aufgenommen werden möchte. Nur jemand, der seinen Brüdern blind vertrauen würde, der kann auch von der Gemeinschaft angenommen werden. Vertrauen aufeinander bildet hier eine der wichtigsten Grundlagen der modernen Freimaurerei.

Ziel dieser Handlung ist es, ihm das Augenlicht wiederzugeben und ihn sehend zu machen. Er soll seine neue Wirklichkeit erfassen und seine Augen und somit auch seinen Geist für neue Dinge öffnen.

Der Prozess des Sehens

Mit der Öffnung der Augen und dem Entfernen der Binde beginnt der Prozess des Sehens und Erfassens von Symbolen und Sinnbildern, wie sie in der Freimaurerei üblich sind. Er muss die Zeichen und vor allem die Bedeutung lernen, wie sie seit vielen Hundert Jahren vermittelt und weitergegeben werden. Diese dienen der winkelgerechten Lebensführung und der Verbesserung seiner ethischen Haltung, seines ethischen Handelns und seines rauen Steins.

Sehen im sozialen Umfeld

In der Abschlussansprache des Stuhlmeisters einer jeden rituellen Arbeit werden die Brüder konkret aufgefordert, niemals wegzusehen und Not und Leid den Rücken zuzukehren: „[…] Wehret dem Unrecht, wo es sich zeigt, kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken, seid wachsam auf euch selbst. […] Dies wiederum ist keine Aufforderung für den Tempel alleine. Sie zeigt, dass der Bruder Freimaurer im profanen Leben die Augen aufhalten und einschreiten soll. Dies muss nun nicht gleich Aufgaben umfassen wie Kriege zu stoppen, aber sich zumindest für eine humanitäre Lösung von Leid und Konflikten einzusetzen oder seine Meinung zu beziehen. Auch in kleinem Rahmen sollte dies ein Muss ein. Nicht wegsehen, wenn auf offener Straße Unschuldige angegangen werden, nicht wegsehen, wenn Unrecht geschieht. Immer wachsam sein und die Augen für die Gefahren dieser Welt offenlassen. Die Augen wurden dem Bruder ja mit der Aufnahme geöffnet, nun muss er sie auch lernen im realen Alltag offen zu halten.

Tace – Vom Schweigen

Ist es nicht in einer so geschwätzigen Zeit, mit Twitter, Facebook und den anderen sozialen Netzwerken, eine gewisse Tugend, wenn man einfach schweigen kann? Wenn man die Ruhe sucht und diese zu schätzen lernt? Gerade diese Ruhe schafft eine gewisse Entspannung, welche dazu dienen kann, die leeren Batterien wieder aufzutanken.

Schweigen bei den Hochgraden

Im alten und angenommenen Schottischen Ritus finden wir ebenso Hinweise auf das Schweigen per se. Der 4. Grad, also der Grad in den man in den AASR aufgenommen wird, ist der Grad des „geheimen Meisters“. Dieser Meister hat sich vor allem durch „das Schweigen“ auszuzeichnen. Diese Meistertugend gilt es also auch in den Hochgraden zu erlernen und zu pflegen. So wie jeder Meister, egal in welchem Grad oder Hochgrad immer auch ein Lernender ist, muss er sich auch weiterhin gerade in dieser Tugend üben.

Schweigen nach außen

Aber warum schweigen die Freimaurer denn vor Außenstehenden, sind sie sogar ein Geheimbund? Unsere Satzungen kann man offen lesen und da eine Freimaurerloge wie ein Verein aufgebaut und strukturiert ist, kann man auch die Vorsitzenden, also den sogenannten Meister vom Stuhl namentlich kennenlernen. Zudem betreiben die meisten Logen durchaus informative Webseiten oder Foren um Interessenten und Suchenden eine geeignete Plattform zu bieten. Selbst ihr, meine Leser habt meinen Blog gefunden und könnt über Freimaurerei einiges erfahren. Daher denke ich es wäre unangebracht von einem Geheimbund zu sprechen. Was jedoch stimmt ist (und ich möchte hier gern ein Zitat von Dan Brown verwenden) dass Freimaurer „ein Bund mit Geheimnissen sind“.

Gerade diese Geheimnisse, geheime Zeichen und Worte, grenzen uns von den Außenstehenden ab und lassen eine Bruderschaft entstehen, welche auf die gleichen Werte und Ideale baut. Wir schweigen nicht um etwas zu verheimlichen oder wie oft behauptet wird um „die Welt zu erobern“, sondern einfach um die Gedankenwelt der Freimaurerei von Außenstehenden abzugrenzen. Einer außenstehenden Person sind oft die Zeichen und die Symbole der Freimaurer unverständlich und auch die Gedankenwelt mag fremd erscheinen.

Zudem ist es denn so ungewöhnlich? Wir Freimaurer verstehen uns als Brüder. In einer Loge kann und soll auch offen miteinander und untereinander kommuniziert werden. Da ist es mehr als verständlich, wenn diverse Interna nicht nach außen getragen werden. Das eigentliche „freimaurerische Geheimnis“ ist eher die Frage an jeden Einzelnen, was Freimaurerei für einen selbst ist und wie es erlebt wird. Das Geheimnis der Freimaurerei muss jeder Maurer für sich selbst entdecken. Somit ist Freimaurerei eher etwas Egoistisches und schwer zu beschreiben. Würde man 30 Maurer nach dem Geheimnis fragen, so würde man auch 30 unterschiedliche Antworten bekommen. Was wiederum auch einer der Gründe ist, warum sich Menschen in eine Loge begeben…eben diese Vielfalt an Ideen, Gedanken und Interessen. Dieser Austausch bereichert einen selbst.

In früherer Zeit war die Wahrung der Geheimnisse noch viel dringender als heute. Früher, als es noch die Bauhütten gab und die Kirchen und Kathedralen gebaut wurden, konnten die wenigsten Lehrlinge und Gesellen lesen. Daher wurden die Symbole ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Auch die Zeichen und Worte wiesen den jeweiligen Status des einzelnen aus, nach welchem er auch seinen Lohn bekam. Kannte man die entsprechenden Zeichen und Worte und wusste um die Symbolik in dem jeweiligen Grad, so konnte man frei umherziehen und sich dort niederlassen wo man Arbeit fand. Man musste sich nicht durch ein Dokument ausweisen, sondern konnte dies tun ohne ein Schriftstück zu haben.

Man kann viel darüber reden, diskutieren und spekulieren warum es Logen gibt, die sich wenig öffnen und andere eine sehr gute Öffentlichkeitsarbeit haben. Ich denke das muss jeder für sich selbst wissen, ob er sich öffentlich dazu bekennt. Was jeder Maurer aber unbedingt sein muss ist verschwiegen. Es gilt nach wie vor die Loge nach außen zu schützen und die Geheimnisse zu bewahren.

Vom Schwiegen in der Loge

Gerade in dieser eher ruhelosen und stürmischen Zeit, ist Ruhe und damit Verbunden das Schweigen eine der wichtigsten Güter. Gerade in einer Loge und vor allem zu den Tempelarbeiten suchen die Brüder und Schwestern die Ruhe auf. Hierbei ist es also mehr als verständlich, wenn die Brüder auch dazu aufgerufen werden, ihre Handys auszuschalten. Dem Alltag entfliehen und sich völlig fallen lassen in diese meditative Arbeit. Zudem hat es auch mit einem gewissen Respekt zu tun, wenn man sich auf die Tempelarbeit mit den Brüdern/Schwestern komplett einlässt und den Worten des Bruders Redner lauscht.

Aber nicht nur während einer rituellen Arbeit ist Schweigen ein wichtiges Gut. Auch im Umgang der Brüder untereinander geht es um das Bewahren von Anvertrautem. Wenn mir ein Bruder etwas in einem brüderlichen Gespräch anvertraut und ich ihm auf Maurer-Wort schwöre, dies für mich zu bewahren, so sollten wir doch hierüber Schweigen und dieses Geheimnis wahren. Dazu gehört auch, dass persönliche Emails und Nachrichten nicht ohne Wissen des Absenders an neue Adressaten weitergeleitet oder versendet werden sollten. Der Maurer muss sich auf die Tugendhaftigkeit seines Bruders verlassen können, denn genau dies macht diese jahrhundertealte Bruderschaft mit aus.

Ebenso ist schweigen und auch das Zuhören angebracht im Rahmen eines brüderlichen Gespräches oder Vortragsabend. Hier lässt man den Bruder ausreden und wertet seine Aussage nicht. Der gegenseitige Respekt zählt, auch wenn er in einer sehr hitzigen Diskussion leider auch einmal von dem ein oder anderen vergessen wird.

Fazit

Zusammenfassend muss man sagen, dass diese drei Grundlagen Sehen, Schweigen und Hören nicht nur in der Freimaurerei die Grundlage für ein sinnvolles Gespräch sowie den Prozess des Lernens sind, sondern grundsätzliche Aspekte im mitmenschlichen Umgang. Sich gegenseitig zuhören und ausreden lassen ist Bestandteil jeder Beziehung.

Wir wollen uns alle respektieren, einander zuhören, uns gegenseitig unterstützen, motivieren – eine Gemeinschaft sein und das Tag für Tag. So fängt es in der kleinesten Einheit, der Partnerschaft und Familie an, geht über das berufliche und soziale Umfeld und kann zu einer umfassenden Gemeinschaft führen, wie es die Freimaurer für sich seit Jahrhunderten anstreben.